8 Uhr: Erstaunen vor Ort – Ratlosigkeit bei der Staatsmacht

MDR INFO, 17.06.13

Unterschiedliche Gespräche mit DDR-Bürgern, die kurz nach 8 Uhr aus ganz unterschiedlichen Motiven dabei waren.

In Berlin setzt sich der Demonstrationszug allmählich vom Strausberger Platz aus in Bewegung. Mit dabei ist auch wieder Klaus Gronau, der am Vortag bereits festgenommen wurde, dann aber wieder frei kam. Der 16-jährige Lehrling lässt sich nicht abschrecken.

Neben mir lief ein Bauarbeiter mit einem Gummimantel. Der trug in der linken Hand ein Brot. Und beim Laufen aß er dann seine Stulle.

Klaus Gronau, damals Lehrling

Eigentlich eine harmlose Begegnung. Doch Klaus Gronau wird diesen Arbeiter Stunden später wiedersehen. Platt gewalzt von einem Sowjetpanzer. Tot. Das sind die persönlichen Erinnerungen die bleiben. Doch noch weiß er nichts davon. Der Demonstrationszug ist für ihn ein gewisses Abenteuer.

Unterwegs kamen einige Bürger entgegen: ‚ Brüder, Brüder, haltet auf. Lasst das sein.‘ Die wurden rigoros zur Seite gestoßen. Teilweise haben sie auch mit dem Gesicht in die Pfütze gestuckt.

Klaus Gronau, damals Lehrling

Bei der Staatsführung und den Blockparteien herrscht am Morgen noch Ratlosigkeit. Offenbar hat niemand solche Proteste ausgerechnet von Arbeitern erwartet. Lutz Rackow ist Redakteur der LDP-Zeitung „Der Morgen“. Schon am Vortag hat er die Versammlungen beobachtet. Vor einer Stunde war er auch noch am Strausberger Platz, um zu sehen, ob sich da tatsächlich Menschen versammeln. Inzwischen ist er in der Redaktion im Gebäude der liberalen Blockpartei – die Journalisten-Kollegen wissen nicht, was sie schreiben sollen.

Und da war die totale Ratlosigkeit. Sonst ratterte der Fernschreiber von morgens bis abends. Und es lief alles von ADN. Das waren ja alles Politnachrichten, die Anweisungscharakter hatten. Oder Sie wurden zum Amt für Information bestellt und kriegten ihre Anweisungen.  Das lief ähnlich so, wie man es aus dem Goebbelschen Ministerium aus der Geschichte inzwischen weiß. So, und da kam nichts. Es wurde niemand bestellt. Sie waren also ratlos.

Lutz Rackow, damals Journalist („Der Morgen“)

Weiter südlich in Leipzig zur selben Zeit: Der 16 Jahre alte Schüler Klaus-Dieter Münch traut seinen Augen nicht – und stellt fest, dass dieser Tag offenbar ganz besonders ist.

Schon wenn wir, wenn ich in die Schule hingegangen bin. Ich bin da hin gelaufen. Ich habe zur damaligen Zeit in der Oststraße gewohnt,  neben der Kinderklinik, da stand an den Straßenbahnen dran ‚Nieder mit Spitzbart und seiner Regierung.‘ Da fuhren die rum und da war man einfach erstaunt.

Klaus-Dieter Münch, damals Schüler

60 Jahre später, weiht Klaus-Dieter Münch 2013 in Taucha bei Leipzig, wo er inzwischen wohnt, einen Gedenkstein zum 17. Juni ein.