7 Uhr: Am Morgen wissen es schon viele

MDR INFO, 17.06.13

Aus heutiger Sicht ist es unglaublich, wie der Aufstand fast zeitgleich überall in der DDR los ging. Viele Informationen wurden über die West-Radiosender verbreitet. Aber es gab auch Mund-zu-Mund-Propaganda. So erfuhren die Menschen in Berlin und in der gesamten DDR von den Ereignissen.

Überall in der DDR brodelt es am Morgen des 17. Juni 1953: In Halle-Ammendorf beispielsweise kommt es seit Beginn der Frühschicht in der LOWA – der Lokomotiven- und Waggonfabrik – zu heftigen Diskussionen über Normenerhöhungen und den Streik der Bauarbeiter auf der Berliner Stalinallee. Langsam entsteht die Idee zu einem Protestzug.

Ebenfalls vor 60 Jahren zu dieser Stunde melden sich in Henningsdorf, südwestlich von Berlin, die Stahlarbeiter zu Wort. Einer von ihnen erzählt im RIAS, dem Radio im amerikanischen Sektor:

Wir kamen zu dem Entschluss, uns den Berliner Arbeitern anzuschließen. Wir legten die Arbeit geschlossen nieder und marschierten mit den Kollegen vom LEW zur Sektorengrenze. Dort wurden die Schranken niedergerissen.

unbekannter Stahlarbeiter

Auch in den S-Bahnen Berlins verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Fred Ebeling hat als Werksstudent im Walzwerk Henningsdorf seine Nachtschicht hinter sich gebracht und ist zum Frühstück mit seiner früheren Mitschülerin Hannelore Gehrke in Berlin verabredet. Sechzig Jahre danach erinnert sich der spätere Nationalpreisträger der DDR und Mitglied des Runden Tisches:

In der S-Bahn von Falkensee nach Berlin habe ich dann gehört, wie sich welche unterhielten, die dann sagten: ‚Naja, die Henningsdorfer Stahlwerker sind unterwegs nach Berlin‘. Wollte es zunächst gar nicht glauben, aber habe gesagt, steigt’s du Nordbahnhof aus und gehst zur Chausseestraße, wenn die über den Französischen Sektor laufen, da durch gehen, müssen sie ja in der Chausseestraße, am Grenzübergang dort müssten sie ja lang kommen.

Fred Ebeling, damals Werksstudent

Hannelore Gehrke macht sich unterdessen Sorgen um ihren ehemaligen Schulfreund. Sie hört kein Radio und ist allein zuhause – sie wird erst später von Fred Ebeling erfahren, was los ist.

Ich habe ihn morgens zum Frühstück erwartet in der Urbanstraße, weil ich ja wusste, er war noch in Falkensee. Und er kommt und kommt nicht…

Hannelore Gehrke

Fred Ebeling ist inzwischen aus seiner S-Bahn ausgestiegen und zur Chausseestraße gegangen.

Denn habe ich mich da hingestellt. Und kurze Zeit später sah ich auch viele Stahlwerker, die noch ihre Helme und blauen Brillen anhatten und Holzschuhe, da vorbei laufen. Naja, dann wusste ich, da ist irgendwas in Gange. Da habe ich mich also angeschlossen, diesem Zug.

Fred Ebeling, damals Werksstudent

Für Fred Ebeling beginnt damit ein Tag, der ihn prägen wird.