Leuna, Halle und Berlin. Die Situation ist vergleichbar. Aus den Vororten ziehen Arbeiter in das Zentrum.
Selbst für das Aufmarsch-gewohnte Berlin ist es ein ungewöhnlicher Tag. Arbeiter strömen von mehreren Seiten in das Zentrum der Stadt. Ein Kollege vom RIAS spricht mit ihnen, als sie durch den Westsektor Berlins marschieren. Sie demonstrieren gegen die 10-prozentige Erhöhung der Arbeitsnormen.
Wo arbeiten Sie denn?
Henningsdorf
Wann fängt denn die Schicht an morgens?
6 Uhr 10.
Und was hat den Anstoß gegeben? Ist der Entschluss heute Morgen gefallen oder gestern schon?
Heute früh.
Geschlossen das Werk verlassen um 7 Uhr.
Und die Kommunisten im Werk? Was haben die gemacht?
Kopf hängen lassen.
Die sind nicht mit? Nein?
Nein.
Haben die versucht, den Zug aufzuhalten?
Nein. Nicht. Gar nicht.
Hatten ihr Parteiabzeichen mit einem Mal abgenknippst von der Jacke.
Wieviel Mann werden das sein ungefähr?
5.000 Mann.
Die sind alle mit?
LEW und Stahlwerk
Die sind alle mit?
Alle geschlossen. Ja.
RIAS-Reporter im Gespräche mit Arbeitern
180 Kilometer weiter südlich, die Leuna-Werke. Auch hier sind die Arbeiter im Ausstand. Im Radio erzählt später einer von ihnen, was genau passierte.
Bau 15 war es. Da fing es an, dass die Arbeiter meuterten. Durch Radfahrer, durch Arbeiter, die im Werk rumfuhren, erfuhren wir davon. Es wurde die gesamte Arbeiterschaft von den Leuna-Werken zum Verwaltungsgebäude bestellt. Und als wir vorkamen, da waren dort schon mindestens 20.000 Mann versammelt, die Leuna-Werke haben 28.000 Mann Belegschaft.
Leuna-Arbeiter im Radio-Interview
Zur selben Zeit am späten Vormittag sitzt Herbert Priew als Student 20 Kilometer weiter nördlich in einer Vorlesung in Halle.
Und da wurde dann erzählt ‚Da ist was los in der Stadt.‘ Und da bin ich in die Stadt gegangen und da kamen die Arbeiter von der Waggonfabrik Ammendorf schon. Und da wurde ich erst gefragt ‚Was willst du denn hier?‘ und ‚Wer bist du?‘Und da haben wir uns einige Worte ausgetauscht. Und dann kam ein Arbeiter mit einer dicken Lederschürze, haute mir auf die Schulter und sagte ‚Heute nicht Arbeiter und Bauern, sondern heute Arbeiter und Studenten.‘
Herbert Priew, damals Student
Zu diesem Zeitpunkt wissen Arbeiter und Student noch nicht, dass Herbert Priew später eine führende Rolle im Aufstand einnehmen und – für zwei Jahre ins Gefängnis gehen würde.