9 Uhr: Klaus Staeck – ein Oberschüler erlebt den 17. Juni 1953 in Bitterfeld

MDR INFO, 17.06.13

Am Vormittag begann in Bitterfeld der Aufstand. Mit dabei war der Oberschüler Klaus Staeck. 2013, als er dieses Interview führte, stand der Grafiker in Berlin an der Spitze der Akademie der Künste. Eine deutsch-deutsche Biografie.

Der Blick aus dem Fenster seines Amtszimmers fällt  auf den Pariser Platz – jenem Ort vor dem Brandenburger Tor, der viele Jahre die Trennung zwischen Ost und West wie kaum ein anderer symbolisierte. Klaus Staeck ist Präsident der Akademie der Künste. Seine Erinnerung an den 17. Juni fasst er in einem Satz zusammen.

Ja, selten erlebt, dass man Freiheit so erleben kann. Auch wenn es nur für ein paar Stunden ist.

Klaus Staeck, damals Oberschüler

Er war morgens als 15-Jähriger in der Oberschule in Bitterfeld, als er von dem Aufstand hörte.

Die Lehrer wollten uns nicht rauslassen, natürlich. Stellten sich vor die Tür. Unsere Schule lag etwas günstig. Relativ erdgeschoss-artig, so dass man aus dem Fenster springen konnte.

Klaus Staeck, damals Oberschüler

Doch der Lausbubenstreich wurde schnell zur Gefahr.

Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben um mein Leben gerannt, damals in den Binnengärten, als wir Schüsse hörten. Jetzt wird es irgendwie ernst.

Klaus Staeck, damals Oberschüler

Doch es war mehr, was den Oberschüler an diesem Tag in Bitterfeld faszinierte. Eindrücke, die ihn ein Leben lang prägten.

Man sah, wie die Gefängnisse aufgemacht worden und ein Lastwagen mit Polizisten, der noch kam und das sichern wollte. Und die Bürger haben dann angefangen, einen Lastwagen zum Umkippen zu bringen, in dem sie immer auf der einen Seite gewackelt haben, auf der anderen… habe ich noch nie gesehen.

Klaus Staeck, damals Oberschüler

30.000 Menschen versammelten sich in Bitterfeld. Einer von ihnen war auch Klaus Staeck.

Es gab zwei Hauptredner, neben anderen: Das war einmal der Paul Ottmar, denn auch dafür nachher für 12 Jahre ins Gefängnis kommen sollte, elf einhalb Jahre hat er davon abgesessen. Eigentlich einer, der immer abgewiegelt hatte. Und ein zweiter war, an den ich mich erinnere, der Lehrer Fiebelkorn, der sofort begriff, abends, das geht hier nicht gut. Den nächsten Zug bestiegen und nach West-Berlin gefahren.

Klaus Staeck, damals Oberschüler

Der 17. Juni 1953 prägte den Oberschüler Klaus Staeck: Drei Jahre später verließ er die DDR und zog nach Heidelberg. Er wurde Rechtsanwalt, Verleger und – vor allem – Grafiker. Seine rund 300 Plakate sind meist politisch, eher links und nicht immer bequem. Seit 2006 sitzt Klaus Staeck als Präsident der Akademie der Künste im Ost-Teil Berlins, wo damals der Arbeiteraufstand begann.